Profil der Sektion für Mediävistik

Die germanistische Mediävistik erforscht die deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters, wobei zu letzterer in einem besonderen Maße die Welt der literarischen Fiktion zählt. Anhand der Texte versucht sie in das Denken des mittelalterlichen Menschen und seiner Imagination zu durchdringen, zugleich öffnet sie die erhaltenen Werke den gegenwärtigen LeserInnen, ohne vor neuen Interpretationszugängen Halt zu machen. Die Mediävistik von heute überschreitet feste Definitionen einer linguistischen und literaturwissenschaftlichen Disziplin und übernimmt die Methodologie der Kulturwissenschaften. Sie beschäftigt sich mit der Sprache und mit Texten im Rahmen bzw. unter Berücksichtigung von politischer und gesellschaftlicher Lage, von Frömmigkeit und Ritualen, von zeitgenössischen Realien und Alltag, von Bildung, Glauben und Philosophie. Leitend sind dabei u. a. Beziehungen von Schrift und Bild, mediale Zusammenhänge, Vortragsbedingungen und probleme, der Bezug zum Adressatenkreis und sprachliche Bearbeitungen der Texte.

Der Magisterstudiengang der germanistischen Mediävistik an der Palacký-Universität Olmütz/Olomouc profiliert Fachleute auf dem Gebiet der Germanistik, deren Kompetenzen primär anhand der Erforschung und Interpretation mittelalterlicher Quellen entwickelt werden. Der Unterricht umfasst die ganze Breite der mittelalterlichen Literatur und Sprache von ihren Anfängen im 8. Jahrhundert bis zu gedruckten Büchern des 15. und 16. Jahrhunderts. Ziel des Magisterstudienganges ist es, auf wissenschaftlichem Niveau deutsch geschriebene Texte zu analysieren und zu erörtern, sie in übergreifende Zusammenhänge einordnen zu können und sich einen Überblick über die Entwicklung der deutschen Sprache und Literatur zu verschaffen. Die Studierenden werden nach dem Abschluss fähig sein, selbständig wissenschaftlich zu arbeiten und eigene Ergebnisse mündlich und schriftlich zu präsentieren. Zudem werden ihnen sowohl Grundkenntnisse der Edition- und Herausgebertätigkeit als auch des Übersetzens und des Kulturmanagements vermittelt. Dank der reichen Bestände der wissenschaftlichen Bibliothek Olmütz/Olomouc und hiesigen Filialen des Landes- und Staatsarchivs wird mit authentischem Material gearbeitet.

Schwerpunkt der Olmützer Mediävistik ist die Erforschung der deutsch geschriebenen Produktion und ihres Publikums in Böhmen, Mähren und Schlesien. Das deutsche Schriftum war nicht nur ein Bestandteil der tschechischen Geschichte, sondern in seiner Bedeutung mit der tschechischen Literatur vergleichbar. In bestimmten Perioden – wie im 13. Jahrhundert, als die höfische Literatur vornehmlich auf Deutsch verfasst wurde – dominierte die deutsche Schriftlichkeit sogar vor der tschechischen. Die in Böhmen, Mähren und Schlesien ansässigen Orden schrieben Werke von den Kongregationen aus den benachbarten Teilen des deutschen Reichs ab oder sie pflegten einen reichen Textaustausch mit ihnen; die mährischen Humanisten standen in Beziehung nicht nur mit ihren Zeitgenossen aus dem benachbarten Schlesien, sondern auch mit dem Wiener Humanistenkreis. Trotzdem blieben die in Tschechien aufbewahrten Bestände eher außerhalb der Sicht der germanistischen Forschung. Die Olmützer Sektion für Mediävistik hat sich daher vorgenommen, das allgemeine und das Fachwissen von der deutschen Literatur des Mittealters auf dem Gebiet der Tschechischen Republik zu erneuern, bekannte Werke wissenschaftlich zu bearbeiten und zugleich ihren Korpus um Quellen zu bereichern, die der Öffentlichkeit bisher verborgen in Magazinen der böhmischen, mährischen und schlesischen Bibliotheken, Museen, Archiven und kirchlichen Institutionen entgangen sind. Die Mediävistik knüpft damit an das langjährige Bemühen des Olmützer Lehrstuhls für Germanistik an, dessen Blick auf die Erforschung der deutschmährischen Literatur gerichtet ist. So will die Olmützer Sektion die europäische germanistische Mediävistik auch um neue Forschungsergebnisse bereichern, die auf genauen Kenntnissen der Region basieren.